<  >  
     
 
 
 
   

Demos, der
Kunst am Bau
Bundestag Berlin, Neustädtische Kirchstrasse 4-5, Berlin
Entwurf
2017





 

Konzeption


Ort     Das Gebäude in der Neustädtischen Kirchstrasse 4-5 hat eine wechselvolle Nutzungsgeschichte. Es diente unter anderem als Amerikanische Botschaft in der DDR oder als Offizierswarenhaus während der Kaiserzeit. Immer wieder war es in den Fokus der nationalen und internationalen Geschichte gerückt. Nach der Sanierung wird es vom Bundestag genutzt werden.

Themen     Im künstlerischen Entwurf wird die Beleuchtung des Bundestags durch den geschichtlichen Rahmen des Gebäudes ausgearbeitet. In solchem historischen Kontext kann der Bundestag als demokratische Instanz seine eigene Geschichte erkennen. Für diese historische Beleuchtung der Entwicklung von Demokratie in Deutschland und ihrer internationalen Zusammenhänge sind für den Entwurf fünf zeitliche Bereiche ausgewählt worden. Diese entwickeln sich in den Wandbildern von unten nach oben über die fünf Stockwerke hinweg: Märzrevolution, Weimarer Republik, geteiltes Deutschland, Nachwendezeit, Gegenwart. Nicht eine geschichtliche Vollständigkeit ist die Absicht, vielmehr wird eine aspekthafte Fokussierung auf Ereignisse vorgenommen. Die Disposition einer gelebten Demokratie hat hier eine besondere Dringlichkeit erfahren. Dadurch soll dem Betrachter die Demokratie lebendig werden. Es ist die Absicht, den Mitarbeitern die Herkunft und den Kampf für die Demokratie als wertvolles Gut darzulegen, durch das ihre Arbeit im Haus Sinn erhält, indem sie mir ihrer Arbeit dieses Gut verteidigen und ausweiten.

Motive      Die Wandbilder sind für das Personal entwickelt worden, das für mehrere Jahre vor Ort arbeitet. Entsprechend reichhaltig und vielseitig ist das visuelle Angebot der Wandbilder. Manche Motive erkennt man unmittelbar, viele kann man erst nach einer wiederholten Betrachtung entdecken. Einige Motive sind bekannt, viele kann man nur durch einen gewissen Kenntnisstand identifizieren. Auf diese Weise werden so viele Details und Geschichtsfragmente gezeigt, dass man auch nach Jahren des Arbeitens vor Ort immer wieder neue Aspekte und Motive erkennen kann. Auch der direkte Bezug zum Haus kommt in der Bildwelt vor. Beispielsweise waren im ersten Weltkrieg die Offiziere der Marine und Armee von diesem Haus mit Uniformen eingekleidet worden. Motive von Offizieren des ersten Weltkriegs sind durch diesen Umstand unmittelbar mit diesem Gebäude verbunden (erster Stock, rechte und linkes Bild in den Strassenkämpfen der Novemberrevolution). Auch stand die Amerikanische Botschaft in der DDR im Fokus des kalten Krieges. Hier hatte das Gebäude eine zentrale Bedeutung und wird explizit als Motiv aufgerufen (linkes Bild, dritter Stock, mittig unten).

Kippen     Die Bildfläche entspricht der Wandfläche, ist jedoch zur Hausmitte „gekippt“. Durch das „Wegziehen“ des Bildes zur Mitte und nach oben wird die weisse Wand der Grundfläche sichtbar. Auf diese Weise verbreitert sich das Wandbild je nach oben. Im Bildbereich ergibt sich so die schräge Bildkante auf der Wand, die durch alle Stockwerke läuft. Entsprechend kippt die gesamte Motivlage im Bildbereich entlang dieser Schräge.

Architektur     Beide Bilder rutschen parallel zueinander von der Wand ab. Sie haben dieselbe Schräglage, Form und Position auf der Wandfläche eingenommen. Durch ihr paralleles „Wegkippen” spannen sie eine Verbindung durch das Gebäude und stellen über den Raum hinweg eine symmetrische Beziehung zueinander her. Sie spannen zwischen sich einen imaginären Raum auf. Da die linke und die rechte Bildfläche über fast alle Stockwerke des Gebäudes reichen, nimmt die gemeinsame Bewegung des Kippens der Bildflächen die innere Logik der Architektur auf. Die Lage der Bildflächen ermöglich eine bewusste Sicht der Architektur. Die Bildflächen sind vom Treppenhaus einsehbar und stellen durch Sichtachsen eine räumliche Beziehung zum Treppenhaus her ohne in dieses direkt einzugreifen.

Digitalität     Der Rechner wird als Simulationsmaschine verstanden. Um Simulationen zu enttarnen werden Funktionsweisen des Computers dysfunktionalisiert. In Grafikprogrammen wird die digitale Maschine durch Überstrapazierung zur algorithmischen Fehlfunktion getrieben. So wird die Differenz aus Simulierendem und Simuliertem provoziert. Im absturznahen Bereich des Rechners werden die visuellen Ergebnisse von algorithmischen Verrechnungen gesammelt. Dieses visuelle Material aus Rechenfehlern wird am Computer collagiert und ausgedruckt, um dann mit manueller Malerei kontrastiert zu werden. Die digitale Struktur der bildnerischen Vorlage wird deutlich erkennbar gemacht. Pixelstrukturen und Vektorisierungen werden je nach Abstand deutlich sichtbar. Das Motiv zerfällt in seine Teile und zeigt sich als digitale Struktur. Ausgedruckt werden die Ergebnisse per Transfer auf die Wand gebracht.

Zeitirritation      Die Transfertechnik, die in den Wandbildern angewandt wird, ermöglicht die Setzung einer patinaartigen Oberfläche. Das Gebäude ist 1878 erbaut. Hier mit freskoartigen Wandbildern zu arbeiten, die nicht nur historische Themen bearbeiten, sondern auch durch ihre visuelle, patinaartige Erscheinung historisch wirken, suggerieren, dass die Wandbilder dort schon lange vor der Sanierung waren und jetzt freigelegt wurden. Beim näheren Betrachten zeigt sich aber eine digitale Bildstruktur. Durch den Transfer wird eine digitale Struktur als eine historisierende, patinaartige Schicht aufgebracht. Dieser gleichzeitig auf digitale Zukunft und analoge Vergangenheit verweisende visuelle Eindruck führt zu einer Zeitirritation.

Gegenwart     Fünf verschiedene Zeiten werden in den fünf Stockwerken aufgerufen. Es ist naheliegend den historischen Zeiten eine Patina zu geben - aber auch der Bereich der Gegenwart wird mit einer Patina gemalt. Dadurch wird die Gegenwart historisiert. Einer Betrachtung aus der Zukunft wird suggeriert. Dies relativiert eine Betroffenheit durch gegenwärtige Prozesse und ordnet sie ein in die grosse Linie einer durch die Zeiten laufenden Auseinandersetzung, dem sich der Bundestag als demokratische Instanz verpflichtet weiss. Andererseits zeigt es, dass in jedem kleinen Detail aktueller Entscheidungen Einzelner eine Auseinandersetzung ausgetragen wird, deren Anbindungen weit jenseits der Gegenwart liegen und von dort ein Bewusstsein in die Gegenwart zu jedem Mitarbeiter tragen. Es ist eine Auseinandersetzung älter als der Bundestag selbst, der der Bundestag zudem seine Existenz verdankt.